Die literarischen Radwege „Per Pedal zur Poesie“ sollen – zumeist orientiert an bereits erschlossenen Routen – die Landkarte Baden-Württembergs auf neue Weise erfahrbar machen. Entworfen als Tagestouren, jedoch ebenso integrierbar in längere Radwanderungen, führen sie entlang der vielen Literaturmuseen und -gedenkstätten des Landes, berühren Handlungsorte von literarischen Texten und weitere wichtige Schauplätze der Literaturgeschichte. Entwickelt hat dieses Konzept die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg, von deren website Literaturland Baden-Württemberg die pdfs zu den Touren heruntergeladen werden können.
An der schweizerischen Grenze beginnend durchmisst der Radweg zunächst die Halbinsel Höri, die auf die Stadtflüchtlinge des 20. Jahrhunderts eine große Anziehungskraft ausgeübt hat: Hier sei »nur Natur und sonst nichts«, behauptete Norbert Jacques, der Erfinder der Romanfigur Dr. Mabuse. In Wangen wurde der Chronist des südwestdeutschen Landjudentums, Jacob Picard, geboren, und in Gaienhofen hat Hermann Hesse acht Jahre gelebt und neben anderem seinen Musikerroman ›Gertrud‹ geschrieben. Über Radolfzell, wohin sich der »karlsruhmüde« Besteller-Autor des 19. Jahrhunderts, Joseph Victor con Schefferl, zurückzog, und durch Allensbach, wo Fritz Mühlenweg die Erlebnisse seiner Asienreisen zu einer vielgelesenen Abenteuergeschichte verarbeitete, führt die Route - mit der Möglichkeit eines Seitenblicks auf die Schriftkultur der Klosterinsel Reichenau - nach Konstanz, der heimlichen Hauptstadt des Bodensees.
Directions
Von Stein am Rhein auf dem Bodensee-Radweg über die Grenze nach Deutschland
1 Öhningen-Kattenhorn
Der Lyriker Werner Dürrs on (1932 – 2008) lebte vierzehn Jahre auf der Höri (Schlosstrasse 11). Wie seinem frühen Mentor Hermann Hesse, dem er sein erstes eigenes Buch widmete (›Hermann Hesse.Vom Wesen der Musik in der Dichtung‹, 1957) und den er in seiner Romanbiografie ›Lohmann oder Die Kunst sich das Leben zu nehmen‹ (2007) skizzierte, war ihm die Halbinsel am Ende jedoch fremd geworden. Er verließ den Untersee 1984 und klagte in seiner im gleichen Jahr veröffentlichten Gedichtsammlung ›Das Kattenhorner Schweigen‹: »Ach See du / Riesenträne der / Grundstücksmakler«; »hier dämmert Deutschland am schönsten«.
2 Öhningen-Wangen
Hans Leip (1893 – 1983), der Verfasser der »Internationale der Kriegsmüden«, ›Lili Marleen‹, konnte den Untersee noch mit ganz anderen Augen sehen. Bevor er ans schweizerische Ufer nach Fruthwilen (Literarischer Radweg 03) übersiedelte, logierte Leip 1953/54 mehrere Monate im Gasthof Auer A und ließ sich hier vom »Wunder des Wassers« für seinen Roman ›Der große Fluß im Meer‹ (1954) inspirieren. Der in Hamburg geborene Autor, der in seinen 100 Büchern oftmals von der Seefahrt erzählt, verarbeitete in diesem Roman Unmengen wissenschaftlichen und historischen Materials über den Golfstrom. Leip war während des Dritten Reichs bereits zweimal an den Bodensee, nach Überlingen, geflohen: Beim ersten Mal vor den Bombenangriffen auf Hamburg; beim zweiten Mal vor dem Nazi-Regime, das ihm sein Gedicht über die Zerstörung deutscher Städte, ›Das Lied im Schutt‹, übel nahm. Nach dem Krieg zog Leip auf die Höri, weil er im zerstörten Hamburg keinen Raum zum Arbeiten mehr fand.
Jacob Picard (1883 – 1967) indes lebte bereits »seit drei Jahrhunderten in Wangen«. Das schrieb der hier Geborene (Hauptstrasse 60) aus seinem New Yorker Exil, wo er nach eigenem Bekunden beim Anblick des Hudson-Rivers stets an den Untersee denken musste. Picards Heimatort ist eine jener Hegau-Gemeinden, in denen Juden und Christen bis 1933 auskömmlich zusammenwohnten. Seine Erzählungen, die ihn zum Chronisten des südwestdeutschen Landjudentums machten, eröffnen einen ganz anderen Blick auf die Höri und ihre Geschichte. Hermann Hesse meinte über den Novellen-Band ›Der Gezeichnete‹ (1936), er stelle den neuerwachten Sinn der deutschen Juden für ihre Eigenart unter Beweis, eine Eigenart freilich, die sich vom Stetl- und Ghetto-Judentum durch das Zusammenleben mit den Christen und die bäuerliche Heimatverbundenheit unterscheidet. Seine Kindheit und Jugendzeit am Untersee hat Picard, bereits unter dem Eindruck der Bedrohung, in den ›Erinnerungen eigenen Lebens‹ (1938) beschrieben. Picard überlebte den Holocaust. 2007 wurde für ihn, der 1960 in seine Heimat zurückgekehrt war und vier Jahre später den Bodensee-Literaturpreis erhalten hatte, im Alten Wangener Rathaus eine Gedenkstätte eingerichtet.
Ernst Bacmeister (1874 – 1971), wenig erfolgreicher Autor etlicher Ideendramen in der Tradition Grabbes und Hebbels und mehr als ein halbes Jahrhundert hier lebend (Im Oberdorf 30), hat sich bei seiner Ankunft auf der Höri durch die »Klarheit und Schönheit im Zusammenspiel der Hügel mit der schimmernden Wasserfläche [...] sogleich sonderbar geborgen« gefühlt. Patienten von Schloss Marbach, einem der ersten deutschen Sanatorien für Alkohol- und Morphiumkranke, wo Bacmeister als Hauslehrer arbeitete, werden eine solche Beheimatung kaum gespürt haben. Den Schriftstellern Otto Julius Bierb aum (1865 – 1910) und Otto Er ich Hartleben (1864 – 1905) jedenfalls brachte das Inselsanatorium keine Heilung.
3 Gaienhofen Hermann
Hesse (1877 – 1962), der in seiner von Lebenskrisen bestimmten Jugendzeit hinreichend Therapieerfahrungen gemacht hatte, kam 1904 unter anderen Vorzeichen an den Untersee: beeinflusst von »einer damals in Deutschland ziemlich lebhaften Regung von Stadtflucht und Landleben mit moralisch-künstlerischer Begründung«. Mit dem Roman ›Peter Camenzind‹ hatte Hesse einen Erfolg erzielt, der ihm eine freie Schriftstellerexistenz ermöglichte. So mietete er – frisch verheiratet mit der lebensreformerischen Ideen zuneigenden Fotografin Maria Bernoulli – ein Bauernhaus in Gaienhofen, »etwas primitiv und auch etwas verwahrlost, aber hübsch und still«, und blieb acht Jahre auf der Höri. In diesem ersten eigenen Haus hatte Hesse »zum ersten Mal das Gefühl von Seßhaftigkeit, und eben darum auch zuweilen das Gefühl der Gefangenschaft, des Verhaftetsein an Grenzen und Ordnungen«. Heute gehört das Haus zum Hermann-Hesse-Höri-Museum, das die Höri als Literatur- und Kunstlandschaft präsentiert und auch jenen Schreibtisch zeigt, den Hesse eigens für dieses Haus bauen ließ und der ihn bei allen späteren Umzügen begleitete. Dank stetiger Einnahmen konnte Hesse nach drei Jahren ein bürgerlichen Ansprüchen genügendes Haus A mit Wasserleitung und Badeofen bauen, das jüngst in privater Initiative rekonstruiert wurde – einschließlich des von Hesse selbst angelegten Gartens. Die Skizze ›Ein Septembermorgen am Bodensee‹ zeigt, dass hier im Erlenloh nicht nur die Harmonie mit der Natur, sondern auch Isolation und Einsamkeit einen Platz hatten. Auch wenn er im Rückblick meinte, dies sei die schönste Zeit seines Lebens gewesen: Die Idee, »an einem Ort eigener Wahl etwas wie Heimat schaffen und erwerben zu können«, war eine Selbsttäuschung. Hesses Ehe offenbarte erste Krisenzeichen, die der hier entstandene Roman ›Gertrud‹ (1910) reflektiert. Als der Schriftsteller 1912 von einer Indienreise zurückkehrte, wusste er: Gaienhofen war für ihn »erschöpft«. Die Familie zog nach Bern und verließ die »weite, lichte, unverdorbene Landschaft« der Höri, die der Maler Otto Dix (1891 – 1969) »zum Kotzen schön« fand. (Dix kam 1936 nach Gaienhofen, nachdem die Nazis seine Kunst als »entartet« auf den Index gesetzt und ihm die Lehrerlaubnis entzogen hatten.) Der Arzt und Schriftsteller Ludwig Finckh (1876 – 1964), der seinen Freund Hesse bereits 1905 am Bodensee besucht hatte und sich hier ebenfalls ansiedelte (Ludwig-Finckh-Weg 5), verklärte später die gemeinsamen Jahre zu einer ›Gaienhofener Idylle‹ (1946). Von Finckhs zunächst nationalkonservativen, nach 1933 offen faschistischen Positionen hat sich der Pazifist Hesse deutlich distanziert.
4 Gaienhofen-Horn
Anna Seghers (1900 – 1983) hatte wegen ihrer jüdischen Herkunft und ihrer politischen Haltung 1933 aus Deutschland fliehen müssen. 1947 kam die spätere Präsidentin des DDR-Schriftstellerverbandes aus Mexiko zurück, erhielt den Büchnerpreis und verbrachte auf Einladung des Verlegers Curt Weller (1895 – 1955) den September des Jahres in dessen Haus Vogelsangstrasse 6. Weller, der Entdecker Erich Kästners, hatte seine Stelle als Verlagslektor wegen seiner regimekritischen Einstellung verloren und 1938 in Horn Zuflucht gefunden. Sein Haus wurde zum Treffpunkt von Künstlern, die die Höri als Überlebensraum in der inneren Emigration nutzten: unter ihnen auch der junge Curth Georg Becker, der den Umschlag für die deutsche Erstausgabe von Seghers’ Exilroman ›Transit‹ gestalten wird. Die Vorabsprachen zu dieser Edition, die Weller dann 1948 in seinem Konstanzer Verlag besorgte, werden während des Besuchs der Autorin getroffen worden sein.
Auch ein anderer Bucherfolg wurde in Horn auf den Weg gebracht: Erich Scheurmann (1878 – 1957) hatte die Höri, auf die er zeitgleich mit Hesse kam, als Gegenort zur Zivilisation nicht mehr ausgereicht. Auf der Suche nach dem Paradies reiste er 1914 in die Südsee. Zurück in Horn (Erbringstrasse 36), schrieb er die ›Reden des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiavea‹, die 1920 unter dem Titel ›Der Papalagi‹ veröffentlicht und durch ihre kulturkritische Sicht auf die westlichen Gesellschaften ein halbes Jahrhundert später zu einem Bestseller wurden.
Rudolf Borchardt (1877 – 1945) indes waren solche Erfolge fremd. Der formstrenge Ästhet wohnte im Erscheinungsjahr des ›Papalagi‹ für sechs Monate im damaligen Michaelshof (Erbringstrasse 43). Hier übertrug er u.a. Dantes ›Divina Commedia‹ ins Deutsche. Borchardt, der im alten Gaienhofener Rathaus, dem heutigen Hesse-Höri-Museum, geheiratet hat, lebte hier sozusagen im Wartestand – auf der Durchreise nach Italien. Mit den Augen eines Kulturhistorikers las er die Bodenseelandschaft so auch als nördlichsten Ausläufer des alten römischen Weltreichs.
Den Michaelshof erwarb später der jüdische Schriftsteller Erich Bloch (1897 – 1994). In der »Hoffnung, in Horn besser überleben zu können als in Konstanz«, machte er 1933 daraus die erste Bio-Gärtnerei der Höri, mit kibbuzähnlichen Lebensformen und Ausbildungsmöglichkeiten für auswanderungswillige junge Juden. Das Refugium hielt nicht lange, und Bloch floh nach schweren Misshandlungen nach Israel. 1968 kehrte er nach Konstanz zurück, schrieb dessen jüdische Geschichte (1971) und schilderte das ›Leben am Bodensee 1897 – 1939‹ in seiner Autobiografie ›Das verlorene Paradies‹ (1992) – und zwar in einer atmosphärischen Dichte, wie es für diese Gegend nur noch Jacob Picard gelang: etwa in dem Band ›Der Gezeichnete‹, an dem er 1936/37 im Horner Gasthaus Hirschen schrieb. In Horn findet sich auch das Grab von Hans Leip E sowie eine Kopie jener Laterne, die ihn im Ersten Weltkrieg zu ›Lili Marleen‹ inspiriert hatte. Diese Kopie war das wichtigste Requisit in Rainer Werner Fassbinders gleichnamiger Verfilmung des Stoffs von 1981. (Im Staadergarten 7).
5 Moos-Iznang
»Auf meiner Reise durch die europäischen Kulturländer bin ich hier gelandet und schicke Dir diesen Gruß.« Das teilte Hesse, den es des Öfteren nicht zu Hause in Gaienhofen hielt, auf einer Ansichtskarte aus dem Gasthaus Ad ler A seiner Frau mit. Im Garten dieses Gasthauses steht ein Denkmal für Fr anz Anton Mesmer (1734 – 1815), der hier geboren wurde und bis 1746 in der Hör istrass e 10 B aufgewachsen ist. Mesmer, dessen ›Theorie des animalischen Magnetismus‹ (1774) von seinen Zeitgenossen heiß diskutiert wurde, hielt auch in die Literaturgeschichte Einzug: Zum einen war er den Frühromantikern und auch dem an parapsychologischen Experimenten interessierten Justinus Kerner Garant für das Wirken unsichtbarer Kräfte; zum anderen machten ihn Stefan Zweig (›Die Heilung durch den Geist‹) oder Horst Wolfram Geißler (›Der liebe Augustin‹) selbst zu einer literarischen Figur.
6 Radolfzell
Mit seiner Literarisierung des St. Galler Mönchs Ekkehard II., dessen Lebensgeschichte er auch in Radolfzell recherchiert hatte, trug Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886) maßgeblich zur Wahrnehmung des Bodenseeraums als einer historischen Kulturlandschaft bei. Denn wie schon Scheffels ›Trompeter von Säckingen‹ (1853) war auch der ›Ekkehard‹ (1855) eines der auflagenhöchsten und meistgelesenen Bücher des 19. Jahrhunderts. Scheffel selbst zog sich 1871 nach einem Urlaub in Radolfzell »vollkommen karlsruhmüde« auf ein hiesiges »Stück Gartenland« zurück, »welches bis an den See reicht«. Am Ende besaß der Stadtflüchtling zwei Häuser auf dem Hofund Rebgut der Halbinsel Mettnau: die Villa Seehalde B und das Scheffelschlösschen – ein Refugium, der stillen Arbeit und dem einfachen Leben vorbehalten. Noch heute erinnert dort das Jagdz immer an den Dichter. Berthold Auerbach, der erfolgreiche Autor der ›Schwarzwälder Dorfgeschichten‹, schrieb 1881 beim Besuch des Schlösschens: »[D]a saß ich und erinnerte mich nicht, daß ich je im Leben eine höhere, über alles emporgehobene Stunde hatte. Mein einziger Wunsch war: jetzt sterben zu können«. Darüber, dass Scheffel in Radolfzell auch Schwierigkeiten hatte, gibt einer seiner wenigen hier verfassten Texte Auskunft: das Gedicht ›Mettnaustimmung‹, in dem der Bodensee als »Pfütze voll Schlangen und Kröten« beschimpft wird (Scheffel-Felsen).
Ein anderer Bestseller-Autor dieser Zeit, der aus dem Schwarzwald stammende Heinrich Hansj akob (1837 – 1916), schildert seine Begegnung mit Radolfzell in dem Bändchen ›Im Gefängnis. Neue Erinnerungen eines badischen Staatsgefangenen‹. 1873 musste der ›Rebell im Pfaffenrock‹, damals Pfarrer der Bodenseegemeinde Hagnau und badischer Landtagsabgeordneter, am Luisenplatz ( abgerissen ) eine sechswöchige Haftstrafe wegen Beleidigung von Landesbeamten absitzen.
7 Allensbach
Im Werk Martin Anders en Nexös (1869 – 1954) hat der Untersee nur schwache Spuren hinterlassen. Das Allensbacher Klima sei zum Dichten ungeeignet, schrieb er in seinem Erinnerungsroman ›Morten der Rote‹ (1945): Es fördere zu sehr die Faulheit. Andersen Nexös Zusammenarbeit mit dem Konstanzer Verlag Oskar Wöhrle und eine verweigerte Einreise nach Italien hielten ihn von 1925 – 30 am Untersee fest ( Brunnengasse 7 ). Hier entstand ›Im Gottesland‹ (1929), die Geschichte eines gescheiterten Getreidespekulanten. Anlässlich seines 60. Geburtstags würdigte das ›Konstanzer Volksblatt‹ den »dänischen Gorki« (Brecht) als einen jener, »denen das Erlebnis der Not und die Kraft der proletarischen Klasse zur Dichtung wurde.«
Die Erfahrungen zweier Asienexpeditionen hat der in Konstanz (Kanzleistrasse 11) geborene Fr itz Mühlenweg (1898 – 1961) in sein erfolgreiches Jugendbuch ›In geheimer Mission durch die Wüste Gobi‹ (1950) einfließen lassen. Damit, aber auch mit seinem Abenteuerroman ›Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit« (1952) und der Übertragung chinesischer Gedichte erbrachte Mühlenweg, der sich 1934 mit seiner Frau, der Malerin Elisabeth Kopriva, in Allensbach niederließ (Konstanzer Str. 31), eine kulturelle Vermittlungsleistung und gab der deutschen Asienwissenschaft, insbesondere der Mongolistik, wichtige Impulse.
I Abzweig zur Insel Reichenau
Seine Sehnsucht nach der Reichenau, der »insula felix«, fasste Walahfrid Strabo (808 – 849) in Fulda, als Schüler des berühmten Hrabanus Maurus, in Versform. Zuvor hatte der erste und bedeutendste Dichtermönch, den das hiesige Kloster hervorbrachte, auf der Reichenau bereits als 18-Jähriger die früheste gedichtete Jenseitsvorstellung des Mittelalters geschrieben (›Visio Wettini‹), mithin zu einem Thema, das durch Dantes ›Divina Commedia‹ in die Weltliteratur eingehen sollte. Bevor Walahfrid 842 als Abt auf die »insula felix« zurückkehren konnte, schrieb er in Aachen sein heute bekanntestes Werk, ein Hexameter-Gedicht über Gartenbau und Nutzpflanzen (›De cultura hortorum‹).
8 Konstanz
Auch in Konstanz führen die literarischen Spuren bis ins Mittelalter zurück: Der »Mystiker vom Bodensee« Heinrich Seuse, genannt Suso (1295 –1366), dem die Deutschen Begriff und Konzept der »Gelassenheit« verdanken und um dessen Geburtshaus Konstanz und Überlingen lange uneins waren, schrieb seine Traktate ›Buch der Wahrheit‹ und ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ im hiesigen Dominikanerkloster. Später trat der Minnesänger Oswald von Wolkenstein (1376/77 – 1445) im Gesellschaftshaus zur Katz B auf. Doch erst im Biedermeier entfaltete sich das kulturelle Leben: Theater, Buchhandlungen und Verlage etablierten sich, und im Bürg ercasino C neben dem Münster trafen sich die literaturinteressierten Bürger. Ab 1914 erschien fünf Jahrzehnte lang ›Das Bodenseebuch‹, ein grenzüberschreitendes Jahrbuch zur Geschichts- und Kulturlandschaft des Sees. Nach dem Ersten Weltkrieg trafen sich junge Autoren wie Jacob Picard, der seit seinem zehnten Lebensjahr in Konstanz lebte, und Norbert Jacques (1880 – 1954) im Kaffeehaus Café Zentral (genannt ›Schächtele‹) ( Kanzleistrasse 1a ). Jacques wurde auf einer Überfahrt nach Konstanz zu seiner Figur des ›Dr. Mabuse‹ angeregt. Auch bereits etablierte Autoren wie die ehemaligen Schulfreunde Emanuel von Bodman (1874 – 1946) (Literarischer Radweg 03) und Wilhelm von Scholz (1874 – 1969) stießen dazu. In seinem Roman ›Bohème in Kustenz‹ (1929) hat Eduard Reinacher (1892 – 1968) die Lebendigkeit dieses literarischen Lebens festgehalten. – Mehr zu Konstanz: Literarischer Radweg 03.
KONSTANZ BAHNHOF Rückfahrmöglichkeit mit der Bahn - im Sommer auch mit dem Schiff - nach Stein am Rhein Oder die Tour mit Per Pedal zur Poesie Route 03 fortsetzen.